Interviews mit Entomologen

Prof. Dr. Holger Heinrich Dathe - Interview aus dem Jahr 2013

Fragen: Viktor Hartung

Wie sind sie zur Entomologie gekommen? Gab es einen bestimmten Moment in Ihrem Leben, wo Sie gesagt haben: Ich will Entomologe werden?

Ich wollte Zoologe werden, möglichst in der Forschung, und dort natürlich an den aktuellen Entwicklungen teilhaben. Entomologie hatte ich lediglich als passendes Hobby entdeckt als eine interessante, angenehme und entspannende Beschäftigung neben dem Beruf. Als Biologe war ichauf anderen Gebieten tätig. Ich bin gelernter Verhaltensforscher, habe dort zwar mit Insekten, speziell Grillen, gearbeitet, aber da ging es um Bioakustik, die unsere Gruppe an der Universität vertrat. Ich hätte ebenso gern an Säugetieren oder Vögeln geforscht. Später habe ich mich miteiner biophysikalischen Fragestellung habilitiert, wobei es um Leistungsberechnungen beim Vogelflug ging, und die Professur erhielt ich schließlich für das Fach Tierphysiologie. Aber bei allem hat mich jene Entomologie begleitet, der ich als Studen anlässlich einer Exkursion näher gekommen war: Studien an Hautflüglern. Das ist zu meinem ernsthaften Hobby geworden.
In der Rückschau kann ich dies als Fügung betrachten, denn als ich nach der Wende 1993 gefragt wurde, ob ich mal zeitweise einspringen könnte, um das Deutsche Entomologische Institut in Eberswalde durch diverse Evaluierungen zur Neuetablierung zu leiten – es ging also um eine ganz existenzielle Frage –, da konnte ich zusagen, weil ich dort, meinem Hobby nachgehend, schon irgendwie zu Hause gewesen war. Ich bin insofern ein Seiteneinsteiger, aber dass ich am Ende dabei geblieben und doch noch ein Entomologe von Beruf geworden bin, hat mit einer Eigenheit des Fachs zu tun, die mir etliche Kollegen aus ihrer Erfahrung bestätigt haben: wenn man einmal tiefer ins entomologische Fach eingestiegen ist und dort eine bestimmte Schwelle überschritten hat, kommt man davon nicht mehr los.
Ein Schlüsselerlebnis dazu, den "Moment"kann ich von mir berichten: Als ich nämlich erstmals eine Goldwespe, einen Omalusauratus, unter dem Mikroskop sah. Der Eindruck war umwerfend, mir wurde plötzlich klar, dass es neben der uns bekannten Welt noch einen Mikrokosmos gab, den wir nur nicht wahrnehmen, weil er so klein ist, dass wir zu seiner Erkenntnis optische Hilfsmittel brauchen. Wendet man die an, wird diese Parallelwelt immer größer, bunter, wundervoller und interessanter – und sie lässt einen nicht mehr los.

Gab es Bücher, Filme oder Kunstwerke, die Sie dazu animiert haben könnten?

Einmal dafür interessiert, erlebt man dieses Umfeld mit neuen Augen und sieht auch an Bekanntem völlig neue Eigenheiten. Das große Surinam-Buch der Maria Sibylla Merian, um das bekannteste Beispiel zu erwähnen, spricht vor allem künstlerisch an, aber dann zeigt es ja auch die Entwicklungsstadien der abgebildeten Insekten, aus denen man ersieht, dass die Malerin selbst die Schmetterlinge gezogen haben muss. Und das zu einer Zeit, als man noch an Urzeugung glaubte. Historische Literatur hat mich eigentlich immer sehr angesprochen, und die Entomologie ist da sehr ergiebig. Man findet viele schöne alte, liebevoll gestaltete Werke, in Holz geschnitten oder in Kupfer gestochen und oft von Hand koloriert. Die seltsame Schönheit vieler Schmetterlinge und Käfer vor allem hat Künstleraugen angesprochen, und das bis heute, wovon die Wissenschaft noch immer profitiert.
Und dann habe ich etwas Neues kennengelernt, nämlich die Bestimmungswerke, die einen Zutritt in die geweihten Bereiche gestatten. Ich bin mit dem dicken Schmiedeknecht, Die Hymenopteren Nord- und Mitteleuropas (1930), der ja ein gewichtiges Werk ist, sowohl inhaltlich als auch von seiner "Tonnage" her, zu Exkursionen gefahren. Wenn man sich dort einliest, stellt man fest, welches Wissen schon die Altvorderen gehabt haben, jedenfalls viel mehr, als man sich heute so nebenher erwerben kann. Das heißt, man ist gut beraten, sich darauf zu stützen, das zu kennen und immer wieder anzuwenden. Diese Literatur veraltet nicht so schnell, und dabei ist sie so wichtig, um sich diese Tiergruppe zu erschließen.

Gab es bestimmte Personen, die Sie beeinflusst haben?

Ja, ich habe zunächst sehr viel von Personen gelernt, die ich persönlich nicht mehr kennenlernen konnte. Ich muss hier nochmals OttoSchmiedeknecht nennen, aber auch Heinrich Friese, Johann Diedrich Alfken, Hans Bischoff, Paul Blüthgen oder die Stoeckhert-Brüder – also Autoren, in deren Werken man so viel persönliches Engagement wiederfindet, dass man selbst motiviert wird, sich auch mit den Personen zu beschäftigen, um herauszufinden, wer sie waren, wie sie gelebt haben. Von etlichen gibt es ja noch heute Spuren, etwa Gedenkstätten für Schmiedeknecht oder Friese. Ich denke schon, dass dies wesentliche initiale Einflüsse waren. Später, als ich dann zu Tagungen fuhr, auch außerhalb meines eigenen Tätigkeitsbereichs in der Ornithologie oder Verhaltensbiologie, da habe ich dort ebenso beeindruckende Entomologen getroffen. Einer davon war Ulrich Sedlag, zum Beispiel. Um selbst etwas produzieren zu können, brauchte ich natürlich fachlichen Rat und den Zugang zu Sammlungen, und lange Zeit war meine diesbezügliche Heimat das Berliner Museum für Naturkunde und sein Kustos für Hymenoptera Eberhard Königsmann. Er förderte meine Bemühungen außerordentlich und erwies sich für mich als ausgesprochener Glücksfall. Leider verstarb er viel zu früh. Erwähnen möchte ich in diesem Zusammenhang auch Joachim Oehlke vom DEI in Eberswalde, dem ich freundschaftlichverbunden bin. Zu nennen wären zahlreiche weitere Personen des In- und Auslandes, darunter mit besonderem Rang Bernhard Klausnitzer oder die österreichischen Apidologen – aber mir scheint, unser Fach erfordert und begünstigt einfach den spezifischen freundschaftlichen Umgang mit gegenseitigem Verständnis, wobei alle diese Verbindungen ganz individuell ausgestaltet sind. Das wäre wohl mal ein gutes soziologisches Thema …

Ist Entomologie Ihre „eine große Liebe", oder eine der vielen Leidenschaften?

Das habe ich mich selbst auch gefragt – ich durfte mich eigentlich immer mit entomologischen Themenbeschäftigen, hatte Chefs, die das akzeptierten, auch als Wissenschaft angesehen haben. Aber wahrscheinlich hätte ich das auch ohne diese besondere Erlaubnis oder Förderung getan. So groß wurde die Liebe.
Andererseits brauchte ich wegen der Entomologie andere Leidenschaften nicht unbedingt zu vernachlässigen. In der klassischen Entomologie verbinden sich Sammelleidenschaft, Freilandbeobachtung lebender Objekte, Foto und Film, historische Dokumentation, künstlerische Darstellung und vieles mehr in nachgerade üppiger Fülle, so dass für fast jeden etwas dabei ist. Mich selbst hat immer sehr vieles interessiert, als Beispiel möchte ich graphische Aspekte und ihre Funktionalität nennen. Man kann Strukturen erkennen und abbilden, man kann versuchen, deren Funktion aus der Struktur zu ermitteln. Man kann Funktionen auch nach ihrer Leistung bemessen – also Zusammenhänge, die sich dann in technische Bereiche erstrecken; diese fand ich stets faszinierend. Es lag mir bei biologischen Themen immer daran, etwas zu messen, statistisch zu prüfen, zu berechnen und zu werten, allerdings auf Grundlage von möglichst quantifizierbaren Daten. Das war das Schöne an den Berechnungen zum Vogelflug, die Erkenntnisse waren konkret, greifbar und naturwissenschaftlich-technisch nachprüfbar. Es war mir immer wichtig, die Ergebnisse zeichnerisch so darzustellen, dass ich sie selbst glauben konnte. Was ich zeichnerisch umsetzen konnte, hatte ich offenkundig verstanden. Bei unserer Veranstaltung hier bin ich mit Michael Engel (Lawrence/Kansas University) zusammen getroffen. Wir wollen gemeinsam ein Manuskript fertigstellen, das ein verstorbener Kollege, Roy R. Snelling (ehem. Los Angeles), hinterlassen hat. Dort sind noch richtige Handzeichnungen drin, der größte Teil davon von mir. Das möchte ich gern gedruckt sehen, es sind die besten (und schönsten?) Insektenzeichnungen, die ich je gemacht habe. Wahrscheinlich würde man heute eher Fotografien in die Publikation bringen, aber die Handschrift, die für meine Leidenschaft steht, ist auch ein Merkmal.

Man behauptet, Mathematik entwickelt beim Menschen logisches Denken; Technische Berufe helfen, mit Geräten und Computern im Alltag besser klar zu kommen. Gibt es etwas, was Entomologie im Menschen entwickelt, oder wozu sie im Alltag gut ist?

Die Beschäftigung mit lebenden Objekten, Tieren oder Pflanzen, erzieht immer zu Geduld und zu Engagement hinsichtlich eines ethischen Verhaltens. Wenn man seine Kinder schonend auf Verpflichtungen vorbereiten möchte, dann sollte man sie eigene Erfahrungen mit Tieren erwerben lassen. Das können zunächst Beobachtungen sein, zum Beispiel an "Insektenhotels", den Nisthilfen für Bienen und Wespen, dann aber auch die Haltung und Pflege von tierischen Hausgenossen. Entomologie bereichert allgemein, die Natur wird wesentlich intensiver wahrgenommen, jeder Spaziergang kann zum Ereignis werden, erst recht Reisen, und nebenher gewinnt man ein besser begründetes Verhältnis zur Umwelt und ihrem Schutz. Wenn man verstehen lernt, was ein reiches Insektenleben bedeutet und wie es sich von einem Massenauftreten unterscheidet, welche Prozesse und Effekte hier jeweils wirken, wer oder was dafür verantwortlich ist, dann gewinnt man allgemeine Einsichten, die weit über das Ereignis hinausreichen und schlussendlich zur Übernahme ethischer Verantwortung führen können. Keine andere Tiergruppe ist dafür so geeignet wie die Insekten, denn sie sind praktisch allgegenwärtig. Ich habe mit der Entomologie ähnliche Erfahrungen gemacht. Je tiefer man hineingeht, desto besser geht es einem dabei, wie in einem sich immer weiter fördernden Prozess. Gut ist es, wenn man an einer Stelle in die Tiefe geht, mit der Insektengruppe, mit Insekt/Pflanze-Beziehungen, Lebensweisen, Makrofotografie oder an einem der zahllosen weiteren Anknüpfungspunkte, die einem die Insektenwelt reichlich bietet.

Stellen Sie sich vor, ein Erstsemestler kommt zu Ihnen und sagt: ich habe die Wahl zwischen einer Karriere in Entomologie und einer Karriere in Molekularbiologie. Was würden Sie ihm raten?

Ich würde ihm sagen, dass dies sind keine Alternativen sind, sondern er sollte sich einer moderne Entomologie zuwenden, die beides verbindet. Molekularbiologie ist ja vor allem eine Methode, die auch in der Entomologie eine große Rolle spielt. Die klassische Form der Taxonomie, bei der es nur darum geht, die erkannten Spezies zu ordnen und in ein System zu bringen, bleibt in sich unvollkommen, wenn man nicht die dazu nötigen Argumente findet. Die morphologisch begründete Ordnung hat ihre Verdienste, aber sie hat auch ihre Grenze. In komplizierteren Fällen, zum Beispiel wenn die Arten einander sehr ähnlich sind, können molekulargenetische Merkmale entscheidende Hinweise zum Artstatus liefern. Diese Daten können sogar einen phylogenetischen Zusammenhang und Hinweise auf die Stellen und das Alter stammesgeschichtlicher Verzweigungen liefern. Man kann heute mit genetischen Markern gut begründete Analysen im Sinne einer HENNIGschen Phylogenetischen Systematik erreichen. Zum Teil ist die Methodik schon Routine, und die Entwicklung geht rasant weiter voran. Im Ergebnis hat sich häufig die bestehende Meinung zu stammesgeschichtlichen Zusammenhängen bestätigt, aber es gab auch schon dramatische Veränderungen an Punkten des Systems.
Man sollte sich nur überlegen, ob man dabei stehen bleibt. Genetik allein führt ja auch zu einseitigen Ansichten. Die Morphologie und ihre Funktionen,zusammen mit der Vorstellung, wie kann es wirklich abgelaufen sein, wenn man die realenLebensbedingungen der beteiligten Objekte betrachtet – alles das bildet eine biologische Einheit, die für den Forscher die eigentliche Herausforderung darstellt. Man kann sich immer noch spezialisieren für die eine oder die andere Richtung; auf keinen Fall ist es für einen Genetiker verkehrt, wenn er sich bei den Tieren auskennt, wenn er als sein Objekt nicht bloß die DNA betrachtet, sondern im Hinterkopf behält, dass es sich ggf. um bestimmte Käfer, wunderschöne Tiere, die fliegen können, handelt. Der Zusammenhang darf nicht verlorengehen, die molekulare Analytik setzt ja präzise taxonomische Referenzen (streng genommen die Holotypen der alten und neuen Autoren) voraus, wenn sie sich nicht von der Realität entfernen will.

Was wären die besten Orte – in Österreich, in Deutschland, weltweit – um Entomologe zu werden?

Das ist nicht so einfach zu beantworten, da es hier verschiedene Antworten geben kann. Wenn Sie also Genetiker werden wollen, dann haben Sie sich oft mit Drosophila zu beschäftigen, denn Drosophila ist bekanntlich ein Insekt. Also könnte man sich auch aus dementomologischen Bereich den Taufliegen annähern. Inzwischen gibt es praktisch überall auf der Welt entomologisch arbeitende Gruppen, mit gewissen Schwerpunkten in Nordamerika, Australien und Europa. Aus Asien, Afrika und Südamerika kommen weitere Institutionen dazu, die vor allem angewandte Aufgaben im Fokus haben. Hinwiederum bedingen beide Seiten einander, so dass sich vor allem in den letzten Jahrzehnten eine intensive Kooperation,der Austausch von Experten und gemeinsame Projekte entwickelt haben. Es geht ja auch gar nicht anders, wenn man Erfolg haben will, wobei natürlich der globale Maßstab gilt. Dieser Maßstab hat noch einen sinnvollen Nebeneffekt, die Spezialisierung. Man findet heute kaum noch entomologische Arbeitsgruppen, die akkurat dasselbe untersuchen; typisch ist eher eine abgestimmte arbeitsteilige Vorgehensweise. Das biologische Grundelement mit spezifischer Bionomie und ökologischen Eigenheiten ist und bleibt die Spezies, und bei weit über einer Million Insektenarten gibt es keine Alternative zur Spezialisierung und Arbeitsteilung. Entsprechend vielfältig ist das Angebot an Orten, an denen man als Entomologe tätig werden kann.
Um es mal etwas konkreter zu machen: Bei meinen "Haustieren", den Wildbienen (Anthophila), gibt es praktisch für jede Gattung einen bis wenige Spezialisten pro Faunenregion, weltweit. Am besten, man sucht sich eine Gattung aus, die vakant oder wenig bearbeitet ist.Außerdem gibt es unterschiedliche Schwerpunkte in den Aufgabenstellungen. Erfreulicherweise ist auch nach dem Tode unseres Altmeisters Charles D. Michener seine Wirkungsstätte in Lawrence, Kansas, ein Zentrum der Bienenkundegeblieben. Charles Micheners Schule und sein großartiges Werk "The Beesofthe World"wird durch Michael Engel weitergeführt.

Geht es überhaupt: Entomologie und Business, Entomologie und Geschäft, Entomologie und Geld verdienen?

Wie bei anderen attraktiven Tätigkeiten ist das Angebot begrenzt und die Konkurrenz groß. Außerhalb angewandter Branchen ist die Arbeit in entomologischen Forschungseinrichtungen gewöhnlich kein Förderschwerpunkt. Attraktiv erscheint die klassische Taxonomie nach wie vor, nur wäre ein Umstieg von der Freizeitforschung (die nach wie vor von erheblicher Bedeutung ist!) in den professionellen Wissenschaftsbetrieb nicht gut zu empfehlen. Die Geduld würde wohl in den allermeisten Fällen zu sehr strapaziert. Bessere Chancen bestehen mit Promotion und etlichen erfolgreich eingeworbenen und bearbeiteten Projekten.
Wenn Ihre Frage eher dahingeht, inwieweit die Entomologie noch zeitgemäß ist, kann ich sehr viel optimistischer antworten. Die Entomologie hast sich gewandelt, aber sie hat nicht an Bedeutung verloren. Als Stichworte nenne ich Biodiversität und Globalisierung, in welchen Zusammenhängen die kleinen Tiere eine überragende Rolle spielen, durch ihre Zahl, ihre Vielfalt, ihre Verbreitung – und das unglaubliche Übermaß an Unkenntnis über sie. Hier wird noch einiges geschehen müssen. Die Entomologen sind nicht unvorbereitet, denn sie treffen sich nach wie vor in Konferenzen, allerdings wesentlich konzentrierter auf bestimmte Themen. Sicher, Entomologen sind nach wie vor eigensinnig, vielleicht deshalb, weil sie häufig mit Fragen konfrontiert werden, die für sie selbst sehr klar sind, vorzugsweise ob sie sich damit beschäftigen sollten oder nicht.Sie selbst können es eindeutig beantworten, aber es entsteht schon häufig ein gewisser Rechtfertigungszwang der übrigen Gesellschaft gegenüber, die eben diese Erkenntnisse nicht hat. Aber das mag ähnlich sein bei anderen Menschen, die sich zum Beispiel in Musik vertiefen oder in den Sport. Da ist das allgemeine Verständnis der Mitwelt etwas größer, als wenn es um kleine Lebewesen, "Krabbeltiere", geht.

Jetzt kommt eine Frage, die für jeden Entomologen sehr schwer ist – ich muss sie aber trotzdem stellen: haben Sie ein Lieblingsinsekt, oder Gruppe von Insekten?

Ja, habe ich, ich gebe es zu. Ich finde Hymenopteren nämlich nicht nur interessant, sondern einfach schön und ästhetisch ansprechend. Wie schon erwähnt, bin ich einmal über die Goldwespen zu diesem Thema gekommen. Goldwespen gehören nach wie vor zu meinen Lieblingstieren, ich habe darüber aber nicht speziell geforscht, da gab es andere gute Spezialisten. Im Garten war mir noch etwas anderes aufgefallen, eine Kolonie wunderschöner Bienen mit leuchtend orangefarbenem Pelz, schwarzer Unterseite und schwarzem Kopf, die ich sogar bestimmen konnte: Andrenafulva, die Fuchsrote Sandbiene. Ich sperrte das Rasenstück gegen das Mähen ab, was im nächsten Jahr zur Folge hatte, dass die Kolonie praktisch verschwand. Das gab mir zu denken, und in der Folge habe ich mich bemüht herauszufinden, wie ich das wieder rückgängig machen kann. Damit war ich mitten in den Grundfragen der Apidologie. Nach einer Expedition in den Kaukasus stellte ich fest, dass es niemand gab, der meine Maskenbienen, Hylaeus, bestimmen konnte oder wollte. Also habe ich mich selbst hinein vertieft, und wie das so ist, die Objekte, mit denen man sich beschäftigt und über die man dann am meisten erfährt, werden irgendwann zu Lieblingen. Klare Antwort also: mein Lieblingsinsekt ist "die Biene" (wovon derzeit weltweit 20 000 Arten bekannt sind). Bienen sind ja ohnedies Sympathieträger unter den Insekten. Dabei sind sie, objektiv betrachtet, weder schöner noch besser als Mistkäfer etwa …

Wie sehen Sie die Zukunft der Entomologie? Um es überspitzt zu formulieren: was wären die drei großen Probleme, die die Entomologie des 21. Jahrhunderts lösen sollte?

Ich denke, das allgemeine Bewusstsein hat sich da schon erheblich gewandelt. Als ich anfing zu studieren, gab es den Begriff der Biodiversität noch nicht. Wenn man aber heute so einen Begriff hat, der selbsterklärend ist und der von vornherein als akzeptiert gilt, dann ist vieles einfacher. Und Insekten haben nun mal die größte Diversität, die eine Konstruktion vom lebendigen Material erreicht hat, und das in einer so überwältigenden Weise, dass man einfach gezwungen ist, sich damit zu beschäftigen. Wie kommt es zu dieser Diversität? Was bedeutet diese hohe Diversität? Ich hatte gelegentlich Diskussionen mit Praktikern, die meinten: jeder Organismus hat in der Umwelt eine bestimmte Funktion, da reicht es doch, wenn eine Art da ist, die diese erfüllt – wieso müssen es zehn verschiedene Arten sein? Die Frage kann ich nicht erschöpfend beantworten, aber sie ist richtig gestellt: es muss handfeste Gründe geben, warum in einem ökologischen Zusammenhang solche Reserven angelegt werden. Oder sind sie vielleicht doch nicht identisch, und wir wissen nicht im Detail, warum das so ist? Solchen Dingen nachzuspüren gehört zu den dringendsten Notwendigkeiten, die wir lösen müssen im 21. Jahrhundert. Heute will doch keiner mehr behaupten wollen, dass wir die Natur beherrschen, wir erleben es ja immer wieder, dass sie vielmehr ganz unerwartete Wege nimmt, die keiner vorausgeahnt hat. Immer wieder entstehen Resistenzen oder neue Schadinsekten, neue Krankheiten, neue Bedrohungsszenarien erscheinen. Ich denke, die Entomologie hat im Umgang damit eine hohe praktische Bedeutung, darin besteht ihr Wert und ihre Notwendigkeit. Damit man reagieren kann, muss es dazu eine Basis geben, die entomologische Grundlagenwissenschaft, und das ist die Taxonomie. Man kann mit keinem Objekt umgehen, dass man nicht genau definiert hat. Man muss die jeweilige Art genau beschreiben, und die Arbeit des Taxonomen besteht darin, zu definieren. Wenn Sie in der Zeitung für eine abgebildete Lokomotive die falsche Baureihe angeben, kriegen sie einen Haufen Protestbriefe – aber wenn sie sagen, im Bild ist keine Honigbiene, das ist eine Hosenbiene namens Dasypoda plumipes, dann werden Sie wahrscheinlich hören, Sie sollen sich nicht so pingelig haben. Für uns ist das schon ein Unterschied, mindestens so wie für die Bahnfreunde. Diese Bienenart baut ihre Zellen nämlich im Boden, gern auf Sandwegen, und da würde der Honig wohl eher staubig sein oder womöglich knirschen.