Insekt des Jahres

Seit 1999 das Kuratorium "Insekt des Jahres" ins Leben gerufen wurde – in erster Linie durch den damaligen Leiter des Deutschen Entomologischen Instituts, Prof. Dr. Holger Dathe – wählt diese Kommission jedes Jahr eine Insektenart aus, die wegen besonderer Wichtigkeit für das Ökosystem, besonderer Seltenheit, ästhetischen Wertes oder auch ihrer "Gewöhnlichkeit" eine größere Berühmtheit genießen sollte.

Das Insekt des Jahres soll eine exemplarische Art (und Insekten generell) Menschen etwas näher bringen. Namhafte Entomologen, Vertreter von Forschungsinstitutionen und Naturschutzorganisationen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz treffen zusammen eine wichtige und schwierige Entscheidung, die Wahl unter etwa einer Million beschriebener Insektenarten (auch wenn "nur" etwa 35 000 davon in Deutschland vorkommen) und küren die Art, die das unscheinbare und trotzdem so wichtige Volk der Kerbtiere ein ganzes Jahr lang unter Menschen repräsentieren soll.

Insekt des Jahres 2023: Das Landkärtchen

Die Unterseite ihrer Flügel brachte der Art ihren deutschen Namen ein. © Thomas Schmitt

Das Landkärtchen (Araschnia levana) verblüfft mit seinem variablen Aussehen: Die Frühjahrsgeneration besitzt eine orangefarbene Grundfärbung mit schwarzen Zeichnungselementen. Die Tiere der Sommergeneration sind dagegen überwiegend schwarz mit einem gebogenen weißen Band auf Vorder- und Hinterflügel. Beiden Generationen gemein ist eine relativ bunte und von zahlreichen, unterschiedlich dicken Linien durchzogene Flügelunterseite. Diese erinnert an eine Landkarte, was der Art ihren deutschen Namen einbrachte.

In ausführlichen Laborexperimenten wurde schon vor mehr als einem halben Jahrhundert nachgewiesen, dass Raupen des Landkärtchens, die unter Langtagbedingungen – mit über 15 bis 17 Stunden Licht – heranwachsen, sich ohne Ruhephase zu Faltern der Sommerform entwickeln. Entwickeln sich die Raupen während kürzerer, weniger heller Tage, legen sie immer eine Pause ein und bilden nach der Überwinterung die Frühlingsgeneration aus.

Die Sommergeneration des Landkärtchens ist überwiegend schwarz mit einem gebogenen weißen Band auf Vorder- und Hinterflügel. © Thomas Schmitt

Wachsen Raupen bei Bedingungen heran, die zwischen den beiden Formen liegen, so entwickelt sich bei ausreichend warmer Umgebung eine Frühherbstgeneration mit einem Flügelmuster, das zwischen den beiden anderen Formen liegt. Entscheidend hierfür sind Hormone aus der Gruppe der Ecdysteroide und der Zeitpunkt ihrer Wirkung in der Falterpuppe. Die Gene, die die Ausschüttung kontrollieren, werden durch die Tageslänge reguliert. Eine frühe Ausschüttung der Hormone führt zur Ausbildung der Sommer-Form.

Doch wozu dienen die unterschiedlichen Farbvarianten? Stellt die orange Form im Gegensatz zur Sommerform eine Warnfärbung dar? Oder genießt diese Form im Frühjahr auf dem blätterbedeckten Boden am Waldrand eine bessere Tarnung, während die schokoladenbraune Form bei sommerlichen Verhältnissen mit den dann stärkeren Lichtkontrasten besser vor Fressfeinden geschützt ist? Ein Experiment mit Blaumeisen zeigte, dass keine dieser Annahmen bestätigt werden kann. Während die physiologische Steuerung der Entwicklung des Landkärtchens schon recht gut untersucht ist, bleiben die evolutiven Gründe für diesen Saisondimorphismus noch ungelöst.

Das Landkärtchen befestigt seine Eier in mehreren kurzen Schnüren an der Unterseite von Blättern der Großen Brennnessel (Urtica dioica). © Thomas Schmitt

Auch die Eiablage des Landkärtchens ist bemerkenswert: Es befestigt seine Eier in mehreren kurzen Schnüren, die wie umgedrehte Türmchen aussehen, an der Unterseite von Blättern der Großen Brennnessel (Urtica dioica). Hierdurch unterscheidet sich die Art von allen anderen in Europa vorkommenden Tagfaltern. Die Eier benötigen für ihre erfolgreiche Entwicklung eine hohe Luftfeuchtigkeit. Bevorzugt werden deshalb solche Pflanzen genutzt, die an feuchteren Stellenwachsen, wie beispielsweise in Hochstaudenfluren in Bach-und Flusstälern. Die durch die Überdüngung der Landschaft zahlreichwachsenden Brennnesseln sind demnach nicht automatisch ein gutes Habitat für das Landkärtchen. Die ausgeprägten Hitze-und Trockensommer der vergangenen Jahre ließen die Populationen von Araschnia levana aufgrund dieser Lebensraum-Anforderungen deutlich schrumpfen.

In gut strukturierten Landschaften mit Hecken, Gebüschen, blühenden Wiesen und naturnahen Wald-und Gewässerrändern können die Landkärtchen aber noch recht zahlreich sein. Auch entlang sonniger Waldwege mit einem breiten Saum an Blütenpflanzen trifft man die Falter noch häufig. Das Landkärtchen ist ein Indikator für eine ökologisch intakte Kulturlandschaft, wie sie in Deutschland durch Intensivierung der Landwirtschaft, forstliche Monokulturen und die immer weiter zunehmenden Siedlungs-, Industrie-und Verkehrsflächen leider immer seltener wird.